Caliandro.de - Blog

Dreizehn Jahre Barfußschuhe

Inhaltsverzeichnis

Wie ich zu Barfußschuhen gekommen bin

Durch meinen damaligen Kampfkunsttrainer (Sifu Jürgen Heidingsfelder) und einen Trainingskameraden bin ich in 2008 auf Barfußschuhe gestoßen. Sie waren wie einige der anderen Schüler als Patient bei Walter Packi (Hinweis: Ich war nie bei ihm und kann nichts über die Wirksamkeit seiner Behandlungen sagen, aber habe eigentlich nur Gutes gehört). So bekam ich die ersten VivoBarefoot und Solerunner Schuhe zu sehen und habe mich dann testweise eingedeckt.

Bis zu dem Zeitpunkt dachte ich, meine Nike Free seien das höchste der Gefühle. Dementsprechend begeistert war ich, als ich das erste mal - vermutlich seit meiner Kindheit - wieder längere Zeit barfuß mit Minimalschuhen lief. Vor allem die ersten Tage waren abgefahren, da mein Fußbett all die Reize durch Kiesel, kleine Äste oder Haselnüsse auf dem Boden schon Jahrzehnte nicht mehr erlebt hatte. Plötzlich war zu Fuß gehen eine bewußtseinserweiternde Erfahrung und ich bin wieder richtig gerne lange Strecke spaziert.

Normale Schuhe kommen mir mittlerweile wie Topfstelzen oder Hufeisen vor und damit zu Laufen mag ich genau so wenig, wie asiatisches Essen mit dicken Snowboard-Fäustlingen zu essen.

Nach dreizehn Jahren teile ich mal meine Erfahrung mit allen Vor- und Nachteilen mit und weise auf den zwangsläufig breiteren Fuß hin, den man durch kontinuierliches Barfußlaufen bekommt.

Vorteile

  • Deutlich besseres Gleichgewicht
  • Die Umgebungswahrnehmung wird durch die taktilen Reize verbessert. Man „sieht“ sozusagen den Boden und bewegt sich trittsicher durch unebenes Gelände.
    • Man knickt nicht um, selbst wenn man in ein Grasloch tritt, spürt man es so früh, dass man das Gewicht noch schnell genug vom Fuß nehmen kann.
  • Der Fuß schwitzt weniger, vor allem, weil die Zehen nicht zusammengedrückt werden.
  • Ständiges Rücken- und Bandscheibentraining. Aufgrund der fehlenden Federung durch Schaum, Gel oder Luftkissen bekommt der Körper beim Laufen Mikrostöße ab, die die körpereigene Federung und Schmiermittel aktiv fordern und zu ständiger Erneuerung anregen.
  • Die meisten Schuhanbieter in diesem Segment produzieren unter fairen und nachhaltigen Bedingungen /(bitte vor einer Bestellung selbst prüfen und mal mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen der meist verkauften Schuhmarken vergleichen)/.
  • Die Schuhe bieten alle eine breite Zehenbox, die dem Fuß den nötigen Platz läßt und ein Abspreizen der Zehen beim Laufen ermöglicht.
  • Die Schuhsohlen sind abriebfest und halten mehrere Jahre intensiver Nutzung aus.
  • Qualitativ sind die Schuhe hochwertig verarbeitet (ich spreche nur für die Markenanbieter), da die weichen Schuhe deutlich stärkerer Belastung ausgesetzt sind, als steife und dicke Treter.
  • Optisch machen die Schuhe mittlerweile echt was her. Vom Sneaker bis zum in Portugal rahmengenähten Edelschnürer ist alles im Angebot.

Nachteile

  • Die meisten Modelle und Marken gibt es nur online und in wenigen Spezialläden
  • Die Modelle sind vergleichsweise teuer aufgrund der niedrigen Stückzahlen und geringen Konkurrenz
  • Es gibt leider keine Barfuß-Radschuhe
  • Die Auswahl ist im Vergleich zum konventionellen Markt gering
  • Als echte Winterstiefel nur bei aktiver Bewegung gut (sich stundenlang bei Minusgraden die Beine in den Bauch stehen beim Weihnachtsmarkt macht man nur einmal).
  • Bisher nur wenige Modelle mit Goretex oder vergleichbarer Membran im Angebot

Hinweise

Was tun bei Vorschädigungen wie verschlissenem Kniegelenk oder Plattfüßen?

Auf jeden Fall langsam einsteigen. Ein Casual Schuhpaar zum Spazieren oder fürs Büro anschaffen und es im Wechsel mit normalen Schuhen tragen. Das Fußbett wird so neu aufgebaut (Achtung Muskelkater) und sollte sich regenerieren. Wie sich kaputte Gelenke und Knorpel verhalten ist eine andere Sache: Ich würde nicht auf eine spontane Wunderheilung hoffen und bei Schmerzen wirklich langsam machen und mich ggf. mit meinem Arzt absprechen. Ich hatte und habe bis heute keinerlei Probleme durch die Barfußschuhe, aber das kann auch pures Glück sein.

Der Fuß wird kräftiger und breiter (oder „noch“ breiter für genetische Breitfüße)

Ich habe relativ große und breite Hände und Füße. Da meine Füße von Kindheit an in enge Fußball- und Straßenschuhe gequetscht waren, passten mir dennoch alle Schuhe bzw. ich war gewohnt, dass Schuhe etwas drücken. Mit den Barfußschuhen hatten die Füße endlich den benötigten Platz. Gleichzeitig wurden die Füße durch die verstärkte Forderung der Fußmuskulatur, gepaart mit längeren Strecken aufgrund des wiederentdeckten Spaß am zu Fuß gehen, muskulöser und breiter. In der Folge kann bzw. will ich keine normalengen Schuhe („Korsett-Schuhe“) mehr tragen. Das erscheint und fühlt sich so dumm an, wie eine unpassende Jeans. Dementsprechend hänge ich jetzt als Addict an der Nadel der Barfußschuh-Branche und komme vermutlich nie wieder los. Brauche ich mal einen Wanderschuh, kann ich nur aus den wenigen extraweiten Modellen der konventionellen Anbieter wählen.

Lohnt sich der Preis bei schnell wachsenden Kinderfüßen?

Na klar. Da Barfußschuhe praktisch nur ein plattes minimales Fußbett haben, sind die Schuhe auch nicht bei häufiger Nutzung „ausgelatscht“ und können dementsprechend gut weiterverkauft oder gebraucht gekauft werden. Konventionelle Schuhe dagegen sind von größeren Kleinkindern schnell ausgetrampelt und nicht weiterverwendbar.

Verbesserte Feinmotorik, verbesserte Balance

Im Kampfkunst/Kampfsportbereich ist ein fester Stand und eine gute Balance kriegsentscheidend. Lustigerweise trainiert man die meisten Stile gleich Barfuß oder mit dünnsten KungFu-Slippern. Da die verbesserte Balance durch die Füße ein Grundelement praktisch aller Sportarten ist, profitiert man dementsprechend in allen Bereichen.

Welche Marken kann ich empfehlen?

Anbieter gibt es mittlerweile viele, daher anbei nur Marken, die ich persönlich trage oder getragen habe. Disclaimer: Keiner der gelisteten Marken hat mit mir etwas zu tun, gab mir Proben, Geld oder besondere Rabatte. Es gibt noch zahlreiche weitere gute Marken, so dass ich hier wirklich nur einen kleinen Teil abdecken kann

Marke Besonderheiten Weite Haltbarkeit Preis Kommentar
VivoBarefoot Größte Auswahl, stylische Modelle, viele bürotaugliche weit + + + + Hatten zeitweise Qualitätsprobleme, derzeit wieder top
Wildlinge viele vegane Modelle, viel Stoff, sehr leicht schmal + + + + Oft lange Lieferzeiten, da sehr gefragt und keine Massenproduktion. Nur wenige sind regentauglich
Joe Nimble 3 Jahre Garantie, beste Verarbeitung, Neubesohlung möglich schmal + + + + Für meinen Fuß leider etwas schmal. Neue Running Kompromiss-Modelle mit leichter Dämpfung verfügbar
Solerunner Sehr dünne Sohle, eigene Optik (Ninjastiefel), hoher Tragekomfort weit + + + Die besten in Puncto Barfußgefühl, dafür schnell kaputt. Mir wurde der Garantieanspruch einem Monat nach Kauf verwehrt
Filii Kleinkinderschuhe im Fokus. Firma aus Sindelfingen versch. + + + + + + Sobald das Baby/Kleinkind laufen lernt perfekt. BobbyCar-robust konzepiert. Dank Membran auch pfützentauglich. Guter Wiederverkaufswert

Vom Barfußschuh zum aktiven und nachhaltigen Lebensstil

Übrigens habe ich bis auf ein paar Radschuhe und ein altes Paar Wanderstiefel keinen einzigen Nicht-Barfußschuh mehr im Haus. Ich denke, dass mein Entschluss auf den Verzicht eines Autos nicht ohne die Barfußschuhe entstanden wäre. Durch sie bin ich morgens gerne zur S-Bahn gelaufen und habe das Auto immer häufiger stehen lassen. Mit den Topfstelzen-Schuhen war das Gehen nie wirklich schön. Als Informatiker sitze ich leider viel zu viel am Computer und versuche daher, so viel Bewegung wie möglich in den Alltag einzubauen. Wie immer gilt: Wer seine Umwelt besser wahrnimmt, neigt auch eher dazu, sie zu schützen. Und sei dies auch nur, weil man jeden auf dem Boden geworfenen Zigarettenstummel plötzlich über den Fuß wahrnimmt. Damit der Beitrag nicht in den Esoterik Bereich abdriftet (hat jemand Kristalle zur Wasserfilterung und eine Überdosis Vitamin D für mich? ;-) ), höre ich mit folgendem Statement auf:

Barfußschuhe steigern die Freude am Gehen und das kann in einer bewegungsarmen Gesellschaft nur gut sein.